Der bewegte Mann (19.11.2018)

Der bewegte Mann
Diesen Blog-Artikel, dass gebe ich gleich zu Beginn zu, müsste eigentlich von einem Mann geschrieben werden, denn ich kenne mich einfach nicht gut genug mit Männern aus und zudem laufe ich von vornherein Gefahr, dass diesen Artikel Männer nicht lesen werden. Denn ich stecke schließlich nicht in ihrer Haut und weiß nur wage, wovon ich spreche. Deshalb habe ich zum einen Männer zuvor befragt, teils aus meinen Kursen, teils aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, sowie meinen eigenen Mann, der sich in der Männerarbeit sehr stark macht.
Ich verstehe mich heute also einmal rein als Ergebniszusammentragende und möchte Dir einfach ein paar neue, vermutlich nie angesprochene Impulse anbieten.
Meine Beobachtungen
Vor einigen Jahren kam ein Pärchen in einen meiner Hochzeitstanzkurse, um sich auf den Hochzeitstanz vorzubereiten. Er arbeitete als erfolgreicher Geschäftsmann in einer Bank und sie war eine fleißige Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst. Sie hatten noch 2 Monate bis zur Hochzeit. Bevor ich mit den Paaren im Einzelcoaching starte, gibt es ein Vorgespräch. Manchmal ist es live, wie bei den Beiden. Und bereits hier übernahm Silke die Führung.
„Also Sven hat ja schon mal einen Kurs gemacht, aber er behält halt nichts.“ Sven saß daneben und wirkte abwesend. Als ich ihn auf seine Erfahrungen ansprach, zuckte er nur mit den Achseln. „Ich bin halt nicht so musikalisch…“ Silke fiel ihm hier ins Wort und erklärte noch so einiges, wie sie das Ganze sah und weshalb es wohl bisher nicht mit dem gemeinsamen Tanzen klappte.
Mir war es schwer nachvollziehbar, warum sich dieser stattlich wirkende Mann vor seiner Frau so klein machen konnte. Die Ideen von Silke waren klar. Sie hatte die Musik, den Tanz, ja schon gefühlt die gesamte Hochzeit geplant, und ließ keinen Zweifel daran, dass sich ihr Mann auch für den Tag der Hochzeit fit machen sollte, damit er sie ja nicht blamierte. Und Sven lächelte darüber hinweg.
Was wollen die Herren?
Dieser Beginn eines Wedding Coachings ist mir nach wie vor vertraut und es scheint sich immer wieder zu wiederholen. Ganz klar, dass es sich nicht immer genauso abspielt, und auch, dass auch mal ein tanzaffiner Mann dabei ist, der von sich aus den Wunsch äußerte, einen Hochzeitstanz vorbereiten zu wollen. Doch es ist eine deutliche Tendenz zu erkennen, dass zumeist die Frauen dies sich wünschen. Deshalb möchte ich in diesem Blog-Artikel einige Gedanken mit Dir dazu teilen.
Es geht mir nicht darum, hier eine Partei, also die Herren oder die Damen, bloßzustellen. Ganz im Gegenteil: es ist für mich immer eine Ehre, wenn ein Paar mir das Vertrauen schenkt und bei mir ihren Hochzeitstanz erarbeiten möchte. Was ich thematisieren möchte, ist der männliche Blick auf die ganze Sache, denn der kommt m.E. doch meistens etwas zu kurz, wenn er überhaupt Beachtung findet.
Der Archetyp des Mannes tanzte
Natürlich kenne ich viele sehr gute Tänzer, gerade an der Spitze der Meisterschaften finden wir sie gleichermaßen oft wie Frauen. Meistens beginnen diese Karrieren, weil die Kinder schon früh diese Affinität aufzeigten, und die Eltern dies, mal mehr, mal weniger spielerisch zuließen. Doch um diese Ausnahmen geht es nicht in meinem Artikel – heute geht es um den „ganz normalen Mann“.
Schon in früheren Kulturen lernten Jungen Tänze, die sie in die Gemeinschaft der Gruppe und auch in den Kreis der Männer begleitete. Mir fällt hier direkt das Beispiel der Maori aus Neuseeland ein, die für ihren Haka Tanz bekannt sind; oder die kulturellen Tänze der amerikanischen Ureinwohner. Diese Kraft, die hier entsteht und u.a. die daraus resultierende Energie und Ekstase, sind Elemente eines Mannes bzw. einer Männergruppe. Sie bestimmen Zugehörigkeit und die Gemeinschaft gibt das Gefühl der Stärke: das Tanzen dient einerseits als Ventil für Aggressivität und zum anderen als Zugang für Spiritualität – alles zusammen gibt es Sicherheit. So gelingt es den Männern sich in ihrem Leben natürlich zu positionieren, statt nur etwas zu markieren.
Zivilisiertes Tanzen
Die Menschen der zivilisierten Völker empfanden diese Art sich zu bewegen und zu tanzen als nicht ihrer würdig. Zu ungestüm, zu ungeordnet, zu heftig, wirkte diese Art des körperlichen Ausdrucks auf sie. Und so erfanden sie schlichtweg ihre eigenen Tänze, die aus ihrer Sicht auch einem viel höheren ästhetischen Anspruch genügten. In unseren westlichen Tanzschule werden Single-Tanzkurse immer beliebter, in Tanzschulen findet man in den Standard- und Lateinkursen nur eine bestimmten Typ Mann und noch stärker zeichnet sich die Situation auf den Tanzflächen der Discotheken ab. Es herrscht einfach Männermangel. Warum ist das so?
Mein Sohn macht sowas nicht
Die Männer, die daran teilnehmen, tun dies in erster Linie für ihre Frauen und Freundinnen. Jungen wollen auch tanzen, mehr für sich selber, was sich dann meist mit zunehmenden Alter ändert. Tanzte ein Junge meist jahrelang bei mir im Kurs und hatte offensichtlich Spaß daran, so ändert sich dies mit Eintritt in die Pubertät. Die Gründe kann ich nur vermuten, doch wie ich dies interpretiere, stelle ich hier bewusst zurück.
Was ich daran wirklich bedauere, dass viele Eltern nicht mal in Erwägung ziehen ihrem Sohn einen Tanzkurs als Angebot in Betracht zu ziehen, obwohl sich Jungen genauso geschickt anstellen und kreativ entwickeln. Zwar wird von Frauen stark gefordert, dass mehr Männer tanzen können sollten und dies auch anziehend auf Frauen wirkt; dennoch sind es nicht selten die gleichen Frauen, die ihren Söhnen dies nicht ermöglichen.
Es sind deutlich weniger Jungen, die beim Tanzen aus m.E. an Tanzschulen länger bleiben. Dann sind es vor allem Hip Hop und Breakdance, die „in“ sind. Hier liegt es dann vor allem am Trainer oder Tanzlehrer, weswegen die Jungen dann über Jahre dabei bleiben. In jedem Fall ist die Art und Weise Tanz zu unterrichten von großer Bedeutung.
Frauen haben also schon, von Kindesbeinen an was das Tanzen angeht, einen deutlichen Vorsprung.
Väter als Orientierung
Väter, wenn überhaupt anwesend, dienen kaum als Orientierung, jedenfalls in deutschsprachigen Gefilden. Tanzende Griechen, Spanier oder Italiener sind dagegen sehr viel selbstverständlicher und vor allem beliebt.
Was also „rauskommt“, sind dann Männer, die lediglich versuchen, sich nur nicht allzu sehr zu blamieren, die Figuren zu lernen und sich besser schon mal vorher entschuldigen.
Diese Beobachtungen, die sich genauso auf andere Lebensbereiche übertragen lassen, zeigen ein Bild von einem Mann, der ohne gute männliche Vorbilder, ohne eine Idee des eigenen Selbstbildes und ohne Zugang zu den eigenen Stärken und Gefühlen durch die Tanzsäle der Republik stolpert. Ich weiß, dass diese Gedanken hart klingen, dass sie eigentlich von einem Mann kommen müssten. Doch denke ich mir diese Fakten nicht aus, und möchte heute keinen schmusigen Werbeblog schreiben, um mehr Männer in meine Kurse zu locken.
Wann ist ein Mann ein Mann
Bücher, Coachings und Männertreffs zeigen wie stark Männer auf der Suche nach ihrer Identität als Mann sind, was mich wieder aufs Tanzen bringt.
Meine erste Handlung in meinen Paartanzkursen ist es, den Männern die Führung zurückzugeben. Damit meine ich in keinster Weise eine Art Dominanz. Dadurch, dass ich als Tanzlehrerin Führen wie Folgen kann, tanze ich mit den Herren wie mit den Damen und weiß genau, wie sich das eine, als auch das andere anfühlt bzw. was es bedeutet. Denn auch ich musste erst meine führende Tanzrolle entwickeln, das hatte ich nicht von Natur aus.
Meine Erfahrung mit diesem Thema möchte ich Dir an unserem Tanzpaar vom Anfang, Silke und Sven, veranschaulichen. Als ich Sven in seiner Aufgabe stärkte mehr Führung zu übernehmen und Silke dadurch diese abgeben musste, zeigte sich schnell, wie sie sich immer mehr fallen lassen konnte. Beide genossen jede Tanzstunde mehr, das gemeinsame Tanzen und tänzerische Erleben brachte deutlich viel Spaß mit sich. Immer mehr brachte nun auch Sven seine Ideen ein und übernahm für die gemeinsame Performance Verantwortung. Mit großer Freude, wie ich sehen konnte, und ohne, dass ich jemals auf ihn eingeredet oder zu etwas gedrängt hätte.
Entspannt miteinander Tanzen, jeder in seiner Rolle
Nach ihrer Hochzeit schickten mir beide ihr Hochzeitsvideo und Silke ließ mich noch wissen, dass sie auf Grund einiger technischer Probleme zu Beginn wieder die Führung übernehmen wollte. Doch Sven hatte gelernt, dass es seine Aufgabe war. Er wusste, dass sie aus Unsicherheit stark sein wollte, dass er ihr diese Aufgabe zu lange überlassen hatte, und gab ihr in diesem Tanz das Gefühl zurück, dass er die Kontrolle über die Situation hatte.
Mein Appell an die Männer ist es, dass es überhaupt nicht an ihnen oder am Tanzen liegt, dass es bisher nicht zur eigenen Zufriedenheit klappen wollte. Die Art und Weise, wie Dir als Mann tanzen gelernt wird, das ist der entscheidende Punkt. Die Frage ist nicht OB, sondern WIE – deshalb suche Dir einen passenden Tanzlehrer, von mir aus auch eine passende Tanzlehrerin, die in der Lage ist, dich darin zu unterstützen. Los, Mann!

AutorinBotschafterin des Tanzens
Über die Blog-Autorin: Heidemarie ist passionierte Tanzlehrerin und zertifizierte I-TP-Tanzpädagogin und arbeitet als solche den ganzen Tag mit großen und kleinen und großen mit kleinen Menschen zusammen, um ihnen die bestmöglichsten Voraussetzungen zu schaffen, um ins Tanzen zu kommen und dadurch zu Leuchten. Mehr über sie erfährst du HIER