Kindeswohl - gibt's das noch zu Coronazeiten? (15.09.2020)

Wie wir mit unseren Kindern umgehen (sollten)
[Lesezeit: 7-10min]
Im heutigen Artikel gehe ich einem Thema nach, was mich als Mutter eines wunderbaren kleinen Jungen umtreibt und auch als Tanzlehrerin, die unheimlich gerne Kinder ins Tanzen bringt, sehr beschäftigt. Ich möchte mit dir über unseren deutschen Kinderschutz sprechen, insbesondere den, den wir (nicht mehr) in Deutschland zu haben scheinen.
No face – no communication
Am ersten Tag der Maskenpflicht wurde ich, kaum dass ich meine Wohnstraße entlanggegangen war, erst von einer älteren Frau angeschrien, wir hätten Maskenpflicht. Daraufhin beruhigte ich die Frau, dass dies nur in der Bahn und beim Einkaufen (grob) gelten würde, und nicht an der frischen Luft. Sie nuschelte weiter, ich hab sie nicht mehr genau verstanden. Sie schien über meine Antwort frustriert.
Auf dem Weg zu meiner Tanzschule, kurz bevor ich ins Kölner Tor einbog, sah ich eine junge Mutter, mit einem kleinen Baby in der Trage und einem kleinen zweiten Kind, gute 2 Jahre, wie sie draußen mit der Maske mit ihren Kindern sprach. Es war mir unerklärlich, wie sie mit den beiden Kindern, wovon das größere auch erst wenig gesprochen haben muss, sich verständigen konnte.
Halb ihm Schock, halb bemitleidend, sprach ich sie an: „Entschuldige, darf ich dich kurz etwas fragen?“ „Ja, bitte, um was geht’s?“ Du bist ja hier draußen, wo es keine Maskenpflicht gibt, mit deinen beiden Kleinen. Wie sollen sie dich eigentlich mit deiner Gestik sehen oder deine Sprache gut verstehen, wenn du dein Gesicht bedeckst?“ Daraufhin sah sie mich irritiert an und meinte: „Ich fasse die Maske erst drinnen in der Wohnung an, wenn ich mich danach direkt waschen kann.“
Es war wie ein Stich ins Herz. Ich empfand etwas, was ich zuvor nie formulieren musste. Ich schüttelte den Kopf: es war wohl meine Fassungslosigkeit über dieses Vorgehen, über diesen Denken und vor allem diesen Umgang. Ich fand, ihr Umgang war keinesfalls richtig, weder kommunikativ oder pädagogisch wertvoll. Kurz Falsch. UND DOCH: Welche Ängste muss eine Mutter haben, die ihre Kinder so behandelt? Was macht sie selber durch, dass sie ihre Kinder in ihren Bedürfnisse wahrnehmen kann? Ich möchte immer beide Seiten verstehen…
Doch das Drama unserer aller Kinder hatte bereits vor Wochen begonnen, wo rigoros alles zu schließen hatte, was für Kinder ein Lebensmittelpunkt war (außer das elterliche Haus oder die Wohnung) einschließlich der Spielplätze.
Kinderschutz – Schutz für oder vor Kinder(n)?
Es geht mir darum, dass der Kinderschutz seit dem Shut Down ignoriert, mehr noch, mit Füßen getreten wurde, und gerade in der Anfangsphase sogar ins Gegenteil umgekehrte: aus dem Kinderschutz wurde der Schutz VOR Kindern. Kinder galten als die Virenschleudern schlecht hin, vor dem man sich schützen musste oder sollte. Kindern wurden von heute auf Morgen die Großeltern ausgeredet: manche erzählten ihren Kindern sogar, dass sie die Großeltern nicht treffen können, da diese sonst krank werden.
Wie unpädagogisch, nein herzlos, ist eigentlich dieses Vorgehen?
Wie schlimm muss es für ein Kind sein, dass hört bzw. gesagt bekommt, dass die Großeltern sterben könnten, wenn man diese nun treffen und mit ihnen zusammen sein würde? Mir selbst wurde von einer befreundeten Großmutter empfohlen, dass ich meinen Sohn mit gerade 3 Jahren am besten komplett aufklären sollte, der würde das schon verstehen. Ähm, nein?! Warum? Was können denn Kinder dafür? Welches Verständnis für Viren, Bakterien und Co. Kann man denn tatsächlich als 3Jähriger aufbringen? Und nützt ihm das Wissen? Oder würde es nicht dafür sorgen, dass es in ihm nachhaltig mehr Ängste schürrte, wenn dann irgendwann alles wieder vorbei wäre? Ich glaube nicht.
Abstraktes Thema, so ein Virus
Für uns Erwachsene ist das Thema Virus schon mal kaum bis wenig zu verstehen, d.h. eigentlich hätte uns nichts schlimmeres treffen können, als ein Thema, zu dem wenige noch weniger wissen, und die die was wissen, nicht offen diskutieren bzw. wenige die Meinungsbildung beanspruchten.
Da ist doch Zoff vorprogrammiert. Wie ich es einschätzte, sogar gesellschaftliche Spaltung, weil die einen meinen, was die anderen (noch nicht) wissen oder wissen könnten, wenn sie sich mehr anstrengen würden, oder niemals erfahren werden, wenn sie sich nur auf die Leitmedien konzentrieren.
Und hier geraten nun unsere Kinder hinein. Bis heute. Es ist nach wie vor skurril und difus, wie dieses Thema unsere Denken und Handeln beeinflusst. Mir ist das zuviel. Ich lebe doch nicht in einer Krankheitsdiktatur, in der sich alles nur noch um eine Krankheit dreht? Ich weiß es nicht.
Gefährder Kind
Schlimm: Kinder galten als Hauptspreader, die man nicht mehr fragen muss, sondern wie Objekte wegzusperren hat. Kinder trafen keine Kinder mehr. Kinder wurde der Spielplatz verboten. Und Kinder durften von heute auf morgen nicht mehr in die Schulen, Kitas, zu ihren Freunden oder zu Freizeitaktivitäten und –orten. Inkl. Tanzschulen. Mir ging es 8 Wochen lang unfassbar mies. Nicht, weil ich mit meinem Mann 24h am Tag unser Kind zu bespaßen hatten, das ist eines meiner leichtesten Übungen, ernsthaft, denn ich liebe ihn wie mein Mann, abgöttisch und uns fällt jeden Tag etwas Neues ein, was wir machen können. Aber so ohne wenigstens Spielplatz ist das einfach scheiße für einen kleinen Menschen, der sich gerne bewegt, matscht, patscht und mit anderen Kindern gerne in Kontakt kommt. Ich will mich weder ausheulen oder von den vielen Dingen berichten, die ich mir hab einfallen lassen (müssen). Ich will davon lieber berichten, wie mein gesunder, aufgeweckter Junge von Woche zu Woche trotz all unserer Bemühungen sichtlich darunter litt, kaum einen Freund zu sehen und maximal mit uns in den Wald zu können, direkt am Waldspielplatz vorbei; der irgendwie geschlossen war aber nicht repariert wurde. Es war also auch nicht für ihn zu erkennen, was da der Grund war, dass er da nicht wie die letzten 2 Jahre spielen durfte.
Für mich als Erwachsene noch schlimmer: mir war es auch nicht schlüssig auf welcher Datenbasis das veranlasst wurde. Bis heute nicht.
Das war uns allen doch nicht bewusst…
Ich bin, wie Prof. Michael Klundt, der vor kurzem in der Kinderkommission des deutschen Bundestages sprach, der Meinung, dass hier erst mal niemand mit bösen Absichten gehandelt hat. Jedenfalls hoffe ich das inständig. Doch gerade jetzt ist eine gute Zeit um sich einer Reflektion dieses Sachverhaltes zu stellen und auch andere Wissenschaften zu Wort kommen zu lassen wie die Mediziner, Sozialwissenschaftler, Psychologen, die Pädagogen und auch andere Virologen, warum wie so mit unseren Kindern umgegangen sind und es teilweise noch tun (siehe Maskenpflicht in Schulen). Es gibt nicht die eine Meinung, in keiner Wissenschaft. Daher ist es wichtig, dass wir darüber reden, offen, und vor allem ernsthaft. Wir brauchen einen offenen Diskurs, weil wir eine offene Gesellschaft sind. Denn dann, wenn wir das nicht machen, sind wir wieder in dem Stadium der deutschen Geschichte angekommen, wo eine Meinung die allein richtige war. Und das geht niemals gut aus.
Wir sind doch alle Menschen, einfache Menschen
Ich lehne die Verobjektivierung von Menschen prinzipiell ab, und die von Kindern insbesondere. Gerade deshalb hab ich mich von der konservativen Pädagogik in öffentlichen Schulen abgewandt (Referendatriat erfolgreich abgebrochen) und mit der Eröffnung und Leitung meiner eigenen Tanzschule einen reformpädagogischen Ansatz gewählt. Ich erlebte das blühende Leben und glückliche Menschen, die endlich gesehen wurden.
Wir Menschen sind Lebewesen mit Empfindungen, Gefühlen, einer individuellen Biographie und fühlen uns dort wohl, wo wie so gesehen und wahrgenommen werden, wie wir sind. Wir sind soziale Wesen, d.h. wir brauchen andere Menschen für unsere Entwicklung, für unsere Gehirnentwicklung, wie eine weitere Nahrungsquelle für Leib uns Seele.
Menschen brauchen Menschen – auch beim Lernen
Lernen gelingt uns dann am besten, wenn wir keinen Stress empfinden und Zeit haben; wir lernen dann am besten, wenn man auf uns eingeht und nicht wie eine Festplatte behandelt, auf die Wissen „draufgezogen“ wird - und fertig. Die Mehrzahl der staatlichen Schulen sind nach wie vor dieser Informationsverarbeitungstheorie aufgesessen, bei der man glaubt, „Kopf auf, Wissen rein“. Ich persönlich konnte das einfach nicht in meiner Referendarszeit ertragen. Zu sehen, wie wenig der junge Mensch bei ihrer Wissensgenerierung (selber Schaffen des Wissens) beteiligt sind, machte mich im wahrsten Sinne des Wortes krank. Bis hin zu einem Zusammenbruch mit Gehörsturz.
Ich bin also wirklich sehr auf die Verobjektivierung von Menschen sensibilisiert.
Und jetzt? Jetzt verschlimmerte sich das alles noch, in dem wir unsere Kinder und auch Jugendlichen wie Dinge behandeln, die dies und das mitzumachen oder zu schlucken hätten. Egal was sie dazu meinten oder zu sagen hätten.
Der nächste Schritt ist also wirklich zu schauen, wie wir unseren 13 Mio. jungen Mitmenschen diese Krise so leicht wie möglich machen können, wie wir sie wohlwollen begleiten und ihre Bedürfnisse wahrnehmen können und nicht abtun.
Wie weitertanzen nach dem Shut Down?
Für mich als Tanzlehrerin stand schnell die Frage im Raum, nachdem ich mehrere Wochen statt in Kindergesichter sondern in eine Kamera geschaut hatte, wie ich unterrichten werde. Wie werde ich mit Kindern sprechen, nachdem sie so unsägliche Entbehrungen machen mussten? Wie kann ich ihnen am besten zuhören, nachdem sie vielleicht nicht viel Gehör bekamen? Wie kann ich dafür sorgen, dass sie sich wieder wohl bei mir fühlen und auch wieder mit mir tanzen wollen?
Einfühlsam. Einfach sehr einfühlsam. Das ist alles. Am besten reden lassen, nach wie vor, und da sein, mit meiner ganzen Aufmerksamkeit, die ich aufbringen kann.
Ich lese in der Bahn nach wie vor meinem Jungen ein Bilderbuch nach dem anderen vor, damit er etwas Schönes hat, wo doch alle um ihm herum mit verdeckten Gesichtern herumlaufen. Ich leite seine Aufmerksamkeit auf etwas Schönes, auf etwas, was für ihn besser ist als die Realität. Ganz bewusst, denn die ist derzeit nicht kinderfreundlich. Keine Gesichter bedeutet für Kinder kaum Informationen über den anderen. Also leite ich seine Aufmerksamkeit, mit dem was ich gut kann, selber gerne mag. In der Bahn ist es das lesen.
Tanzen mit Kindern, wohin geht die Entwicklung?
Im Kindertanzunterricht ist das schwerer, umso jünger die Kinder sind. Grundschulkinder können sehr verständig sein und die vorübergehenden Einschränkungen bzw. Modifizierungen in Kauf nehmen. Doch dazu sollten wir sie ebenfalls gut begleiten und auch nach wie vor ein offenes Ohr haben. Tanzen alleine reicht nicht, und hat noch nie ausschließlich guten Tanzunterricht ausgemacht. Wir TanzlehrerInnen sind die Seele des Unterrichtes und keinesfalls, so wie man uns in der Wirtschaft gerne weiß machen will, austauschbar. Das sind wir nicht, denn es ist eben nicht egal, wer den Unterricht gibt. Niemals. Deswegen plädiere ich die Tanzstunden so zu gestalten, das wir benennen, was geht, und weglassen, was nicht geht. Wir sollten zum Wohle des Einzelnen dafür sorgen, dass tanzen und gerade das gemeinsam Tanzen mit positiven Gefühlen verbunden ist und bleibt, dass es etwas Schönes ist, in Gemeinschaft zu sein. Es gehört wirklich mehr dazu als die Abwesenheit von Krankheit um gesund zu sein oder sich gesund zu fühlen. Also lass uns das nutzen, was wir haben, lass uns Freude schenken, zuhören und die Möglichkeiten, die es derzeit gibt, aufzeigen, vielleicht etwas mehr betonen, als sonst und stets zum tanzen einladen und in der Tanzschule, dem Tanzstudio und im Tanzverein willkommen heißen. Und ich verspreche dir, das wird dich auch nähren und entlasten.
Mehr Kontakt? Und falls du selbst Austausch suchst, dann verbinde dich gerne mit mir über Email heidemarie@tanzbotschafterin.de - Instagram @tanzbotschafterin oder durch meinen Newsletter. Deine TanzBotschafterin

Blog-AutorinHeidemarie A. Exner
Die TanzBotschafterin ist passionierte Tanzlehrerin, Dozentin und zertifizierte I-TP-Tanzpädagogin und arbeitet als solche den ganzen Tag mit großen und kleinen und großen mit kleinen Menschen zusammen, um ihnen die bestmöglichsten Voraussetzungen zu schaffen, um ins Tanzen zu kommen und dadurch zu Leuchten. Mehr über sie erfährst du HIER