Tanzen ist nur echt, wenn es offline ist - Wie stark ist Life-Tanzen eigentlich in Gefahr? (15.07.2020)

Es kann niemals einen Ersatz dafür geben

 

Lesedauer: ca. 10-12 Minuten (Schnellleser 6,5 Minuten), aktualisiert am 17.07.20 um 17:30 Uhr

 

Dieses Mal solltest du den Artikel nur lesen, wenn du ins Nachdenken kommen möchtest, sonst klick wieder zurück zu Facebook, ist besser für dich ;-)
Nachdenken, kann man sich das heutzutage eigentlich noch leisten?

 

Ade Sommerurlaub

Ich sehe viele KollegInnen und Freunde in den Urlaub fahren und weiß, dass das dieses Jahr einfach finanziell keinesfalls drin ist. Aber bitte jetzt kein Mitleid, das ist nicht der Grund meines neuen Blog-Artikels. Ich möchte einfach mal in Ruhe sitzen und nachdenken und ein bisschen von dem mit dir bewegen, was mich bei all der positiven Energie, die in mir ist und mich auch umgibt, doch auch an Schwarzem ist.

Sommerpause, das heißt sonst für mich mal von dem ganzen Alltagsstress und dem vielen Unterrichten und Tanzschulorganisieren ablassen, mal die Emails nicht beantworten, mal von Social Media fasten und meinem Körper eine angemessene Ruhezeit gönnen. Das heißt aber auch für mich in die Heimat nach Thüringen fahren zu können und dort enge Freunde und Familie treffen, das heißt mein Lieblingscafe besuchen und endlose Stunden dort sitzen, mit einem alkoholfreien Bio-Bier und neue Ideen spinnen. Doch das ist dieses Jahr leider nicht möglich. Warum, du kannst es dir sicher schon denken – no money.

 

Welcher Alltagsstress? Krise kann auch belasten!

Alltagsstress gibt es derzeit nicht, denn ich bin quasi tagsüber mit meinem Jungen zusammen, und abends und nachts am arbeiten (also Arbeit habe ich definitiv genug, nur eben unbezahlt). Die Tanzschule ist aufgelöst, Emailaufkommen hat nachgelassen, mein Körper ist in viel zu viel Ruhe. Ich habe inzwischen 16 Tage lang voll gefastet und auch wieder etwas vom Corona-Speck verloren, nun halte ich mich wieder fit.

Also: mache ich keine Sommerpause. Punkt. Ich setzte mich hin und überlege, was ich tun kann, damit es meinem Tanzhause wieder besser geht. Und weil ich keinen Bundesverband gründen möchte und kann, weil mir einfach dafür dann doch die Erfahrungen und vor allem die Zeit fehlt, spreche ich immer weiter mit wichtigen Trägern unseres Tanzsystems, mit Menschen, die Mut geben und die Aktionen starten, denn sie zu stärken halte ich gerade als essentiell. Denn ich habe Angst, dass nach einem möglichen Urlaub, den ich vielleicht machen könnte (irgendwie geht immer irgendwas), alles nicht mehr so steht, wie ich es verlassen habe.

 

Jetzt mal abschalten? Ja, könnte ich auch gut gebrauchen, keine Frage.

Ich möchte mich jetzt einfach nicht zurücklehne, oder untätig sein, den ich ganz persönlich schaue in eine völlig ungewisse Zukunft. Klar, ich kann weiter Podcasten, und es sind weiterhin viele wichtige und beeindruckende Menschen da, die mein Angebot gerne annehmen. Das finde ich by the way enorm und großartig!!!!! Ich biete die Plattform um unsere Tanzlandschaft abzubilden und zusammenzubringen.

Klar, ich kann auch weiterhin meine Forschung betreiben und an meinem Buch zum Thema "Gehirn-Gerechtes Tanzen lernen, unterrichten und ins Tanzunterrichten bringen" (Arbeitstitel), vielleicht habe ich ja auch die Aussicht auf ein Stipendium, das wäre mega, und ja, Themen für Blog-Artikel habe ich auch bis zum Ende meines langen Lebens...

 

Ich habe viele Fragen, die mich doch tagein tagaus begleiten:


Welche Zukunft hat mein Zuhause, meine Tanzwelt noch?
Wie berechtigt sind all die Einschränkenden Maßnahmen für die Tanzwelt überhaupt gewesen und sind es noch?
Warum ist so wenig transparent bei den erlassen der Corona-Schutzverordnung?


Warum gelten sie und die Bestimmungen noch oder müssen noch sein?
Wer erstattet eigentlich den entstandenen Schaden?
Wie sollen Tanzschaffenden überhaupt klarkommen und weitermachen, wenn ihnen größtenteils die Grundlage dafür fehlt?


Welchen Imageschaden wird das Tanzen an sich erleiden, wenn es heißt, beim Tanzen wirst du krank oder du kannst dir bei dieser Art Nähe zu deinem Mitmenschen was einfangen?
Wie lange wird es dauern, bis wir wieder den Menschen die Freude bringen, zu der wir in der Lage sind?


Was soll das für ein Zustand sein, in dem wir uns auf „Abstandstanzen“ umstellen?
Welche Entfremdung wird noch auf uns zukommen?
Wird man erst dann sehen, dass die Medizin vielleicht doch schädlicher war als die Krankheit, wenn man kein Theater, kein Konzert, keine Tanzparty und keinen Tanzkurs mehr besuchen kann?


Wo ist hier die Verhältnismäßigkeit?
Warum darf ich nicht kritisch meine Meinung sagen?
Wo ist die Pluralität in dieser Demokratie und die klassische Diskussion, die das gesellschaftliche Leben doch so demokratisch macht?


An welcher Stelle hätte ich mich mehr politisch engagieren müssen, um jetzt nicht so hilflos zu sein?
Ist das Soft-Opening nur ein Ruhigsteller, wie lange ist das für uns eigentlich okay, bis wir wieder auf die Straße gehen?
Bin ich die einzige, der es so geht?


Wie lange soll man denn jetzt auf neue Aufträge warten, oder lieber doch umschulen und was Anderes machen. Und wie einfach wird es dann, danach zurückzukehren?
Wie realistisch muss ich sein, und vielleicht doch wie die Veranstaltungstechniker meine Sachen unter Wert verkaufen, weil ich aktuell meine private Rentenversicherung nicht mehr bezahlen kann?


Warum hab ich nicht eher angefangen mich zu vernetzten?
Was ist, wenn ich keine Kraft mehr habe Fragen zu stellen?
Bin ich zu laut oder doch zu leise?


Wo ist die Grenze unserer Tanzwelt erreicht?
Wann werden wir alle gemeinsam erkennen, dass dieser Zustand der Tanzarmut das Ende einer lebendigen Gesellschaft ist und von hoffen allein noch nie was passiert ist?


Sind meine Grundrechte wirklich eingeschränkt?
Sind wir alle so sehr traumatisiert, dass wir nach jedem Strohhalm greifen?
Akzeptiere ich alles, was um mich herum geschieht oder geschehen sollte?


Wo ist meine persönliche Grenze? Was kann und/oder muss ich denn noch alles ertragen?
Was kann ich tun? Oder sollte ich mich bald man wehren? Und wie denn?
Warum habe ich eigentlich diese Gedanken?

Typisch Philosophin

Ich denke echt gerne, das mache ich seit meinem Studium echt gerne, es hat schon professionelle Züge, weil ich eine spannende Kombination von Erziehungswissenschaften, Politikwissenschaften und Philosophie in Jena und Erfurt mal studiert habe. Da nehme ich mir das heraus. Fragen darf man ja noch, fragen ist nicht so gefährlich wie behaupten. Man muss aktuell immer fragen, und andere antworten lassen, damit man sich nicht zu sehr positioniert. Nee, das will man ja auch nicht, das ist ja dann wieder zu politisch und vor allem nicht das, was eine akzeptierte Meinung ist… Vielleicht sollte ich dieses Thema doch lieber vertanzen?
Tatsächlich habe ich auf die wenigsten Fragen bisher keine zufriedenstellende Antwort gefunden, doch ich bin einfach immer weiter auf der Suche nach ihnen. Es ist schön, diese ganzen Fragen aus meinem Kopf rauszubekommen, also überhaupt mal über die Lippne gebracht zu haben. Wer weiß, was es bewirkt.
Bei mir wirkt alles noch weiter, und bei dir? Schreib mir gerne. Denn ich habe beschlossen mich von der Gehirnbesitzerin zur Gehirnbenutzerin zu entwickeln, und da ändert sich dann doch so einiges *schmunzel*


Angst gehört für uns dazu

Weißt du, es ist völlig in Ordnung Angst zu haben und zu fragen, warum was ist, wieso was ist und wie lange es dauert. Ich bin der Meinung, dass Ungewissheit immer Angst macht, und jeder ist an dieser Stelle gefragt, aus dieser Ungewissheit rauszukommen. Was meine ich damit genau? Wir sind in verschiedenen Formen und Weisen immer Gestalter unserer Gedanken, unserer Meinung und unseres Handelns. Wir können uns in was reinsteigern und Panik bekommen, wir können Angst gestrieben im vorauseilenden Gehorsam versuchen alles so sicher wie möglich zu machen, ohne dass es jemals gelingen wird, dies zu erreichen, denn es gibt niemals absolute Sicherheit, in Beziehungen nicht, in wirtschaftlichen Verhältnissen und generell. Es gilt: die Angst anzunehmen, ihr den entsprechenden Raum zu geben, aber nur soweit, dass ich als Erwachsene weiterhin handlungsfähig bin und mich nicht der angstvollen Starre hingebe bzw. ausliefere.



Wir, ich und du, wir alle eben, wir können Verantwortung zu übernehmen

...wo es uns möglich ist, in unserer Tanzschule, egal ob als Leitung oder als Tanzunterrichtender, und miteinander uns austauschen. Pro aktiv zu sein, also Verantwortung zu übernehmen, das kann ich dann besonders gut, wenn aus dem "was man so weiß oder gehört hat" ein wissen wird. Informationen zu haben, nach denen man eine Situation besser einschätzen kann, sind wertvoll und derzeit vielleicht nicht so einfach auffindbar. Aber wir haben eine große Möglichkeit Infos aktuelle besser denn je zu überprüfen und zu recherchieren. Mir z.B. sind Berichte oder Artikel dann einleuchtend, wenn sie gut belegt sind, wenn ich die Argumente verstehe und nicht irgendwelche Behauptungen darin zu finden sind, die mehr Fragen offen lassen als irgendeine Antwort bereit zu stellen. Also ich gehe das ganze so systematisch wie möglich an.

Wenn ich weiß, dann kann ich angemessen handeln

"Bediene dich deines eigenen Verstandes" war des alten Kants Wunsch an die Menschen, seine Vision - der selbst denkenden Menschen; und es ist auch mein Wusch, dass wir mündige, neugierige und selbstsorgende Tanzschaffende sind, die über das aktuelle Geschehen z.B. Verordnungen, Meinungsbildung, finanzielle Beschaffungsmaßnahmen ect. eine klare Vorstellung haben.
Wenn Wissen die Vermutung ablöst, dann wird aus Angst und Unwissenheit ein "ich weiß, was ich zu tun habe".
Das wünsche ich mir für uns alle Tanzschaffende! Deshalb all meine Arbeit und Energie in Blog, Podcast, Interviews und Buch. Ich liebe Tanzschaffend!

 

Der Schlüssel liegt im WIR

Solange ich mit anderen in Verbindung bin und dadurch Halt habe, kann mir nichts geschehen, was mich in Ungewissheit versinken lässt. Zusammen haben wir im Team immer die besten Ideen und die produktivsten Einfälle. Solange wir wissen, wofür wir arbeiten, für welche Ideen wir stehen, was wir gemeinsam erreichen wollen, solange werden wir erfolgreich sein, egal unter welchen Umständen. Mögen alle noch so spezialisiert sein, was in der Tanzwelt ja per se durch einen starken Wettbewerbscharakter gefördert und forciert wird, so werden wir doch in einem wohlwollenden, wertefreien Miteinander uns gegenseitig stärken, halten und unterstützen. So können wir echte Potentialentfaltungen erreichen, so können wir für unsere Werte einstehen und auch ggg. Kämpfen, wie auch immer das aussehen mag. Lass uns zusammenrücken, lass uns jegliche Konkurrenz aufgeben, dafür haben wir keine Zeit mehr. Das sind verschenkte Energien, wenn wir versuchen unser Nachtragen aufrechtzuerhalten.


Ich bin so optimistisch wie ich nur sein kann, es gibt kein Zurück.

Es geht immer nach vorne, es geht immer irgendwie weiter. Scheitern, was soll das schon sein, was ist das eigentlich? Das bin ich nicht mal, als ich meine Tanzschule glücklicherweise aufgegeben habe, denn sonst wäre ich nun zudem noch hochverschuldet. Und ich bin ja Generalistin, also kann ich umswitchen, ich kann ja noch viel mehr, mich macht ja viel mehr aus, außer meine Tanzschule. Doch mein Zuhause, das ist die Tanzwelt, und die will ich nicht verlassen. Keinesfalls. Das geht dann doch zu weit. Denn Tanzen, das macht man offline am Besten. Das wissen wir beide, sonst hättest du nicht bis zum Schluss gelesen. Daher, wann immer dir nach vernetzte ist, schreib mir, dann tauschen wir uns aus. Und nutzte meinen Newsletter, ich abonniere auch gerne deinen!



>> Wir lieben alle das Tanzen und das soll doch auch weiterhin so bleiben <<

"Thats the Way i like it" - ich will mit dir in einer intakten, gut funktionierenden Tanzwelt leben, wo wir uns gegenseitig unterstützen, wo wir Pluralität und Diversität leben und erhalten. Ich bleibe positiv, klar, und ich tu was ich kann! Meine liebe Kollegin Alice nennt das übrigens „Aktive Geduld“. Finde ich klasse.
Und wenn ich mal was für dich tun kann, dann melde dich unbedingt. Denn zusammen ist man weniger alleine!

 
Deine TanzBotschafterin

 

Jasmin

Blog-AutorinHeidemarie A. Exner

Die TanzBotschafterin ist passionierte Tanzlehrerin, Dozentin und zertifizierte I-TP-Tanzpädagogin und arbeitet als solche den ganzen Tag mit großen und kleinen und großen mit kleinen Menschen zusammen, um ihnen die bestmöglichsten Voraussetzungen zu schaffen, um ins Tanzen zu kommen und dadurch zu Leuchten. Mehr über sie erfährst du HIER

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